Goslars runde Rüstkammer

Familie Mevers unterhält im Zwinger ein privates Erlebnismuseum mit mittelalterlichen Waffen und Folterinstrumenten. Von Julia Bruns

Er ist in einem Turm aufgewachsen: Jörg-Heiko Mevers wohnte mit seiner Familie in der mittleren Ebene des Zwingers. Heute führt er mit seiner Frau Birgit und mit Unterstützung der Töchter Constanze und Claudia vier Ferienwohnungen im Zwinger sowie ein privates Museum. Für dieses wurde jüngst ein Museumsverein aus der Taufe gehoben, der sich für die Weiterentwicklung der musealen Angebote einsetzen will.
Foto: Julia Bruns

Goslar ● „Nebelschwaden durchziehen die Straßen und Gassen der Stadt. Es ist empfindlich kalt. Auf den alten, mit Eichen bestandenen Wällen und über den Teichen, die in den ehemaligen Wassergräben der Stadtbefestigung entstanden sind, lagert der Nebel wie eine Decke. Mächtig ragt hier der Zwinger empor, einer der stärksten Wehrtürme.“

Dies ist der Beginn der Zwinger-Sage. Sie entführt in das düstere Mittelalter – und in das Elternhaus von Jörg-Heiko Mevers. „Hier habe ich früher mit meinen Freunden gespielt“, erinnet sich der Goslarer. Er steht inmitten von Rüstungen, Belagerungsgeräten, Waffen aus dem Bauernkrieg 1525, aus dem 30-jährigen Krieg und dem mittelalterlichen Strafvollzug in einem großen runden Turmzimmer. Draußen peitscht der Wind. Hinter den über vier Meter dicken Mauern ist hier, weit über der Altstadt Goslars, nichts vom stürmischen Westwind zu spüren. „Einmal haben wir beim Spielen die Spitze einer Lanze abgebrochen“, verrät der 58-Jährige und schmunzelt.

„Meine Klassenkame- raden waren immer ein bisschen neidisch, weil ich in einem richtigen Turm gewohnt habe. Und ich? Ich war nei- disch auf die geraden Wände in ihren Kinder- zimmern. Für uns war das Leben im Zwinger nichts Besonderes.“ Jörg-Heiko Mevers

Im Zwinger auf dem Thomaswall hat er seine Kindheitstage verbracht. „Meine Klassenkameraden waren im- mer ein bisschen neidisch, weil ich in einem richtigen Turm gewohnt habe. Und ich? Ich war neidisch auf die geraden Wände in ihren Kinderzim- mern. Für uns war das Leben im Zwinger nichts Besonderes.“

Heute dient das „Elternhaus“ von Jörg-Heiko Mevers nicht mehr als Sitz seiner Familie. Die Mevers hatten versucht, das einzigartige Bauwerk zu verkaufen. Doch der Mindestpreis von 850 000 Euro war nicht erreicht worden. So entschieden sie sich, den Turm umzunutzen: Seit 2019 befinden sich in dem Zwinger vier sehr komfortable, außergewöhnliche Ferienwohnungen – eines ist jedoch geblieben: die Waffensammlung im oberen Geschoss. Mevers Großvater, der aus Gernrode stammt, hat den gewaltigen Befestigungsturm 1935 gekauft, dort eine Schankwirtschaft mit Biergarten aufgebaut und das Museum – die Rüstkammer, wie es in Goslar genannt wurde – erhalten.
Nach Kriegsende hatten sich die Amerikaner einquartiert und die Familie vor die Tore gesetzt. Ein halbes Jahr später durfte sie wieder einziehen und feststellen, dass das eine oder andere Museumsstück fehlte. „Kriegsbeute“, sagt Birgit Mevers. „Vieles, was wir heute hier ausstellen, ist wahrscheinlich ebenso als Trophäe nach Deutschland und schließlich nach Goslar gekommen“, sagt sie.

Da sind zum Beispiel die Jingasas, die kunstvollen japanischen Eisenhelme der Samurai. Oder die orientalischen Schwerter. Die Exponate hat ein Historiker erforscht und seine Erkenntnisse für das Publikum im Museum aufbereitet. Eine Werbeagentur hat sich dem Design der Ausstellung angenommen. So werden die wertvollen Dokumene der Zeitgeschichte ansprechend und mit Hintergrund versehen präsentiert.

Im authentischen Ambiente des Turms können Besucher aber auch in das wohl düsterste Kapitel des Mittelalters eintauchen: Alle Arten Folterinstrumente können Interessierte dort näher betrachten. Jörg- Heiko Mevers hält einen eigenartigen geschmiedeten Kopf in der Hand. „Der Schweinskopf“,

Quelle: Volksstimme, 29.02.2020
Fotos: Julia Bruns

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